Fakten

Wir sind 849 Tage um die Welt gereist (11. Juni 2013 bis 07. Oktober 2015). Unsere letzte Station war Bangkok, Thailand.
Wir reisten 71844 Kilometer durch 26 Länder. Jetzt sind wir wieder in Deutschland und planen unsere naechste Reise.

Montag, 27. Oktober 2014

Malerisches Tibet

Eine Bildergeschichte ueber unseren Weg von Nepal nach Tibet.
- Malerisches Tibet -
(lest den neusten Eintrag aus Kunming von Elmi:
Sonnenuntergaenge in der Grossstadtoase)

Unterwegs in Nepal: Strassenverkaeufer in Mugling

Tibetischer Tempel 'Boudha' in Kathmandu

Auf den Strassen Kathmandu's
...und ein paar Tage spaeter waren wir endlich da: In TIBET!

Nie waren wir naeher am Himmel - Gyatso La Pass, Tibet (5289m)

Tibet kann von Schoenheit kaum uebertroffen werden...

Alter Tibeter verkauft Tibetsfahnen und handgemachten Schmuck - Nyalam Tong La Pass

Weite.

Moenche bei ihren Rede-Uebungen -
 im Tashilhunpo Kloster in Shigatse

Im Entengang zur Kekspackung - Kinder auf dem Tibetischen Land

Buddha im Pelkor Chode Kloster in Gyantse

Altstadt von Gyantse

Einsames Yak in Tibet

Gletscher und Himmel fliessen ineinander ueber...
und dann waren wir in Lhasa...! Aber diese Bilder muessen noch entwickelt werden! Ueberraschungen muss es ja auch geben!

Tibet, geliebtes Tibet. Wie bist du schoen!
Mehr Aufmerksamkeit braucht diese Region!
Ihr wisst, was ich meine!
elmi.

Sonnenuntergaenge in der Grossstadtoase

Worte von Anselm:

Es gibt so Momente... - immer wieder auf dieser Reise gab es die - da frage ich mich: "Wie bin ich in dieser Situation gelandet?"
Was im ersten Moment vielleicht ein bisschen wie eine Frage aus dem Film 'Inception' klingt, mit welcher man erkundet, ob man wirklich wach ist, oder traeumt, so bewegt mich diese Frage sehr oft im wahren Leben.
Wenn mir jemand vor einem Jahr gesagt haette, ich wuerde eine ziemlich lange Zeit in China wohnen, da haette ich laut gelacht, abgewunken und mit unueberhoerbarer Ironie "absolut, mein Freund!" gesagt!
Aber wie es nun mal so kommt, so passieren die seltsamsten Dinge, wenn man auf Reisen ist. Auf einmal werden aus einem Monat drei und diese drei bald noch sechs Monate laenger!
Und dann denke ich so vor mich hin: "Haben mich nicht mal Leute gefragt, welches Land ich am wenigsten mochte? - Ich glaube, zu dieser Zeit habe ich nach reiflicher Ueberlegung 'China' gesagt. Koennte ich es jetzt noch sagen?"
Die Antwort ist: Wahrscheinlich nicht. - China ist nicht nur ein anderes Land, China ist ein anderer Planet, ein anderes Universum. Es gibt hier alles! Deshalb braucht man so gut wie nichts von aussen und manche Menschen erlebe ich auch so, als wuerden sie unter einer grossen glaesernen Glocke leben, auf welcher eingraviert geschrieben steht: "中国" (Zhong guo - China). - Und unter dieser grossen Glocke weht ein anderer Wind, drehen sich die Uhrzeiger anders, werden Menchen in Maschinen verwandelt, werden Gefuehle durch Konsum ersetzt, werden Gehirne gleichgeschaltet. Fragezeichen gibt es nicht.

Es gibt Dinge, die klar verboten sind - aber alle tun sie. Und es gibt Dinge, die klar verboten sind - und niemand tut sie.
- Damit als ein "外国人" (Wai guo ren - Auslaender) klar zu kommen, ist gar nicht so leicht. Wenn man nicht darueber lachen kann, ergreift einen die Wut. Verkehr ist da nur ein Thema, kann ich als Fahrradfahrer behaupten...

Ich bin seit einiger Zeit so sesshaft geworden, dass ich mich mobil machten musste und mir fuer 120 元 (Yuan/Kuai - chin. Waehrung) einen chinesischen Drahtesel zugelegt habe auf dem Second Hand Market. Damit fliege ich jetzt durch die Strassen der Stadt des ewigen Fruehlings und pfeife mir meinen Weg durch die unaufmerksamen Mengen.

Spaeter mehr zum Thema Kunming.

Kommen wir aber zurueck zum "unglauebigen Moment", der Sekunde, in dem einem wieder mal einfaellt: "Wie bin ich eigentlich hier gelandet?" - Egal, wie man es dreht, die Antwort auf diese Frage wird mit einem Kopfschuetteln beginnen. Die Chinesen. Ja, seltsam sind sie, die Chinesen. Eine Situation in der ich maechtig mit dem Kopf schuetteln musste sah so aus:

Anselm, nach einer kurzen Nacht und vier Stunden Deutsch-Unterricht am Morgen, rennt verschwitzt Richtung U-Bahn (denn er hat noch keinen "Super-Sport"-Made-in-China-Drahtesel"). Heute ist die erste Unterrichtsstunde in einer neuen Schule. Englisch fuer vierjaehrige Kinder, die schon zwei Jahre Englisch lernen. So meine Informationen. - Ehrlich? Vierjaehrige, die schon zwei Jahre Englisch lernen? Das klingt interessant...! Mit zwei koennen sie doch noch nicht mal ihre eigene Sprache sprechen..??!
Und dann stehe ich da vor der Klasse, vor Jason, Daniel (der darauf besteht, dass ich in Dan nenne), Lucy, Roly, Lilly, Eric, Steven und Frank und meiner chinesischen Kollegin Mona, die fuer mich uebersetzen soll. Ich halte ein Bild mit einer Ananas hoch und moechte das Wort "pineapple" hoeren, was wir heute schon einhundertvierzig Mal geuebt haben. Keiner sagt 'pineapple', alle schreien irgendwas, aber nicht 'pineapple', bis Mona ihnen vorsagt. Dann ueben wir eben noch einmal.
"Strawberry" kann auch keiner sagen. Zwar schreien wieder alle etwas, was so aehnlich klingt. Ich bekomme einen Tinitus. Bis Lilly mich erloest und zu mir kommt, mich antippt und leise 'strawberry' sagt. Vierjaehrige die schon zwei Jahre Englisch lernen waren ab diesem Tag nicht mehr meine Lieblingsmenschen!
Dann kam wieder diese Frage wie ich denn hierher abgedriftet bin und ich musste ueber mich schmunzeln.

Die schoensten Momente sind aber, wenn ich mir diese Frage stelle, weil der Moment einfach unglaublich erscheint. Wenn ich auf meinem Balkon sitze und die blau-orange Toene am Horizont sehe und die Fliessen auf denen ich sitze noch warm sind, wenn der Abend, der vor einem liegt frei ist und aus den Boxen die perfekte Musik schallt. Dann schmunzel ich erneut und konstatiere: 'Irre!  This is China, man!'.

Und Kunming steht fuer mich besonders fuer eines: Veraenderung. Es ist nicht richtig zu sagen: Hier ist viel passiert, die Frage die man stellen muss, lautet: Was ist hier nicht passiert?

Ich habe in dieser Stadt viel gelernt, vor allem ueber mich selbst. Die Suche, auf die ich mich begeben habe, hat wohl schon vor vielen Jahren begonnen. - Die Suche nach dem 'Selbst', die in unzaehligen Buechern beschrieben, in endlosen Worten fassbar gemacht werden soll.

Fuer mich sind Buecher ein wichtiger Wegbegleiter und auch unglaublich viele Menschen, deren Schatz es ist, sehr tief denken und fuehlen, jene Gedanken mitteilen und ohne eine Richtung vorzugeben, Ratgeber sein zu koennen! Und Musik begleitet mich, die mein Herz hinweg tragen kann in Welten, die nur in meinem Innern existieren!

Ich moechte euch ein wenig von meinen Erfahrungen bei der Suche nach dem 'Selbst' berichten:

Als Emma und ich das erste Mal nach Kunming kamen, erschien uns dieser Ort wie eine Oase im dunklen, grauen, kalten chinesischen Winter. Als wir nach drei Monaten Indien und eineinhalb Monaten Nepal ueber Tibet wieder nach China einreisten, lag "昆明" (Kunming) wieder auf unserer Route. Einerseits kannten wir hier schon ein paar Leute und wussten, dass es relativ einfach sein sollte, Wohnung und Arbeit zu finden und wir brauchten dringend eine Pause, um unsere Finanzen aufzufrischen und um das Erlebte der letzten Reisemonate verarbeiten zu koennen.

Wenn man chinesische Staedte betrachtet, so ist Kunming mit seinen rund sieben Millionen Einwohnern eine Kleinstadt. Aber auch diese Zahl truegt, denn im Stadtkern, wo sich alles abspielt, wo Universitaeten, der "gruene See" und die kulturellen Sehenswuerdigkeiten Kunmings liegen, wohnen nur ungefaehr drei Millionen Menschen, das Flair ist daher weniger geschaeftig und die geographischen Ausmasse sind ueberschaubar - wie gesagt, fuer chinesische Verhaeltnisse!

Die 'foreigner community' ist relativ klein, vielleicht ein paar Tausend. Aber nach nun bald drei Monaten hat man sicher jeden schon einmal gesehen, zudem es auch ein paar Restaurants, Bars und Stadtviertel gibt, wo sich hauptsaechlich Auslaender treffen. Von daher findet man schnell Anschluss und wird von einem bunten Nationalitaeten-Mix empfangen! So war auch unser Anfang hier ein einigermassen leichter.

Schnell wurde mir bewusst, dass ich diese Zeit fuer Aufarbeitung und neue Impulse nutzen wollte. Und dies musste ich allein tun. Deshalb sind Emma und ich in unterschiedliche Wohnungen gezogen, haben jeder unser kleines 'Reich' aufgebaut, und haben unsere Leben in unterschiedliche Richtungen gelebt, jedoch nicht ohne ein gemeinsames Ziel.

Fuer mich begann die Suche nach dem 'Selbst' in meiner Kindheit, bei meiner Familie und fand, aufgrund ihrer engen Verknuepfung schnell ihren Weg zu Religion und zu Gott. Beziehungsweise fuehrte mich der Weg von Religionen weg, ueber Gedanken und Gefuehle, die ich in meinem Herz gesammelt hatte, ueber viele Jahre. Ehrlich und pur im Herzen zu sein, war mein Bestreben. Und so entfernte ich mich nicht nur innerlich sondern auch ganz formal von der Kirche meiner Kindheit und schrieb den betreffenden Personen in vielen Zeilen, wie ich zu dieser Entscheidung gekommen war.

Aber Gott beschaeftigte mich immer weiter. Und ich konnte erfahren, dass Gott alles ist, was uns umgibt. Ein Kreislauf, die Natur und im Kern, auf ein Wort zusammen gefasst, Liebe! Gott ist Liebe und alles um uns herum ist auch Liebe. - Mit dieser neuen Erkenntnis empfand ich mein Leben als ruhiger, offener, wertvoller, reicher und ich habe seit jenem Moment auch versucht, diese Liebe nicht nur in mir zu tragen, sondern sie auch auszustrahlen. - Dies oeffnete mir viele Tueren. Tueren zu verschlossenen Seelen, zu offenen Herzen.
Ich habe geliebt und gelernt, dass es viele Dimensionen der Liebe gibt. Dass Liebe unendliche Formen hat und dass Liebe zwischen verschiedenen Menschen immer unterschiedlich ist, nie die gleichen Details beinhalten kann.

Ich habe Sternenhimmel, Sonnenuntergaenge, Sonnenaufgaenge, Voegelschwaerme und Wolken angeschaut, habe von ihnen gelernt, habe Liebe erfahren und bin im Herzen immer gluecklicher geworden.

Und ich habe herausgefunden, dass beim Versuch all das in Worte zu fassen, der Zauber schnell verloren geht, weshalb Worte immer nur eine Annaeherung ans Gefuehl sein koennen und nie die volle Wahrheit, nie das Innerste. Und das ist auch gut so.

Langsam wache ich auf, langsam spuere ich, wie Koerper, Seele und Geist wieder eins sind und in mir wohnen, denn lange hatte ich das Gefuehl, dass ich vielleicht physisch schon monatelang hier verweile, meine Seele und mein Geist aber noch auf Reisen waren. Unterwegs zu mir selbst. Denn ich glaube, die Seele reist mit einer anderen Geschwindigkeit.

Ich moechte versuchen, die Gegenwart als einen Schatz zu wuerdigen und jeden Moment mit allen Sinnen zu erleben, sei er traurig, froehlich, verletzend, verheilend, aufbauend, zerstoerend oder voller Liebe.

Und Liebe ist zu einem zentralen Element geworden. Bedingungslose Liebe, ohne Forderungen, ohne Enttaeuschungen und ohne Schmerzen. Darauf moechte ich hin arbeiten.

Fuer mich sind die folgenden Punkte besonders wichtig geworden:

1. Es ist nicht wichtig, warum ich hier bin, sondern dass ich hier bin.
2. Nichts geschieht ohne Grund.
3. "What goes around comes around!"
4. Liebe ist Geben.

Die Lektionen, die ich aber gelernt habe, sind im Detail wohl aber nur fuer mich greifbar. Gern wuerde ich den ein oder anderen von euch treffen und euch diese Veraenderungen spueren lassen, denn erklaeren werde ich sie nicht koennen. Wenn ich sagen sollte, was sich an und in mir veraendert hat, wuerde ich es so beschreiben: 'Ich bin mehr der, der ich sein moechte.'

So. Nun noch kurz zu dem 'Spaeter mehr...' -
Kunming. Es ist ein magischer Ort. Es ist China und doch irgendwo eine gruene Insel, die mir nicht nur das Ueberleben gesichert hat, sondern mir neue Perspektiven aufgetan hat. Ich verdanke dieser Stadt mit ihren tollen Einwohnern viele schoene Erlebnisse. Mit meinen (unglaublich fantastischen) Mitbewohnern Chris und Joel stellen wir immer wieder fest: "There is no pressure!" - ('Es gibt keinen Druck') - Das Leben hier ist leicht und unkompliziert. Alles ist moeglich und wenn es nicht moeglich ist, wird ein Weg gefunden, es moeglich zu machen. An der chinesischen Buerokratie scheitert man mit dieser Attituede dann doch meistens, aber - man kann ein Leben fuehren, dass nur an den notwendigsten Stellen mit jener kollidiert. Und wieder kann man konstatieren: Alles ist moeglich.

Und je mehr Chinesisch ich lerne - sage ich nach ca. zwanzig Stunden Unterricht - desto wohler fuehle mich in diesem Dschungel aus Sprache und Schriftzeichen, der mir so fremd und so ungreiflich erscheint. Aber Sprache ist wie eine Machete. Die kann den Weg frei schlagen und das entfernte Tageslicht wieder ins Sichtfeld bringen.

In diesem Sinne - Kommt nach Kunming! Ich bin noch fuenf Monate hier, falls es nicht anders kommen sollte! Wer haette das gedacht.

Hier nun noch zwei Bilder aus China:

(Mehr Bilder findet ihr hier: Malerisches Tibet)

China hat viele Gesichter:
Dieser Mann in Xining, Qinghai verkauft alles was das Herz begehrt!

Kunming - Stadt des ewigen Fruehlings - Februar 2014
Bis bald.
Euer elmi.

Dienstag, 7. Oktober 2014

"Chinesen sind seltsam"

[Es schreibt Emma.]

Es ist frueher Morgen, die Stadt schuettelt gerade erst die Nachttraegheit von ihren Gliedern, auch in meinen Augen sitzt noch Muedigkeit. Ich laufe vorbei am "Green Lake", dem grossen See im Zentrum von Kunming. Es ist eine nette Gegend: die Boegen der kleinen Bruecken auf dem See spiegeln sich im Wasser und bilden runde Kreisformen, die schmalen Strassen sind gesaeumt von gruenen Baeumen und Straeuchern, hier fahren mehr Fahhraeder, als Autos. Wenn ich nicht in China waere, koennet ich das ganze wohl fast als "idyllisch" beschreiben. Aber: es ist laut. Eine Geraeuschkulisse empfaengt mich, bei der ich nicht mehr recht herausfiltern kann, welches Geraeusch woher kommt. An der Ecke passiere ich eine Gruppe von etwa zwanzig Taenzern, Durchschnittsalter vielleicht fuenfzig; jeder haelt eine Art leicht Tennisschlaeger in der Hand. Damit balancieren sie einen Ball kunstvoll in grossen Schwuengen zum Rhythmus der Musik, die aus ziemlich schlechten Boxen schallt. Ein paar Schritte weiter begegnet mir ein alter Mann, der seine Arme in seltsamen Kreisen vor seinem Koerper hin und her bewegt. sein kleines Radio, aus dem eine quietschige Stimme plaerrt, traegt er natuerlich bei sich. Eine alte Dame steht am Gelaender und schwingt ein Bein so weit es geht in die Luft. Eine andere laeuft tippelnd rueckwaerts und klatscht dazu in die Haende. Tatsaechlich scheint es hier in China keinem etwas auszumachen, wie seltsam seine "Fitnessuebungen" auf andere wirken moegen. Jeder macht das, was er kann und will und gut findet. Wenige Meter weiter bewegt sich eine weitere Tanzgruppe synchron zu laut aufgedrehter Musik, die sich mit der der ersten Tanzgruppe ueberschneidet. Daneben ein Karaokesaenger, der klingt, als wolle er sich die Seele aus dem Leib traellern. Daneben eine Gruppe mit Gittaren, Geige und Trommeln. Und eine Saengerin. Und eine freiwillige Taenzerin, die ihre Einkaufstasche durch die Luft wiegt, als sei sie ihr Tanzpartner...

[...]

Reizueberflutung! Zu viele Menschen, zu hell, zu gross, zu vollgestopft! Ich habe in der letzten Nacht nicht geschlafen und finde mich angesichts dessen nun einer wahren Herausforderung gegenuebergestellt: dem chinesischen Supermarkt! Eigentlich unterscheidet dieser sich auf den ersten Blick nicht so sehr von einem europaeischen, aber doch gibt es viele Hinweise darauf, dass man sich nach wie vor in China befindet (falls man das auf seinem Weg durch die kilometerlangen Regalreihen vergessen habe sollte). Am Eingang muss ich eigentlich meine Tasche in einem Schliessfach abgeben bzw. sie von der freundlichen Chinesin, die mich laechelnd empfaengt, mit einem Klebestreifen diebstahlsicher machen lassen. Aber irgendwie schuettelt sie nur den Kopf, als ich ihr bereitwillig meinen Beutel hinhalte und deutet freundlich auf die Rolltreppe. Keine Ahnung, ob das jetzt wieder so ein Auslaenderding ist oder wieder eine Regelung, die eben nur manchmal eingehalten wird...Gleich als ich den Supermarkt betrete, wird mir von einer kleinen Chinesin mit Mitarbeitermuetzchen ein Stueck Zellstoff entgegengestreckt: Klopapier! Fuehl mal! Oder lieber die Sorte?...Danke, brauch ich grad nicht. Ehrlich gesagt, habe ich schon wieder vergessen, warum ich eigentlich hier bin. Die Fuelle an Angeboten ueberschwemmt die Einkaufsliste in meinem Kopf und macht sie unlesbar. Ich wabere ziellos an den Klopapierfrauen vorbei, vorbei am Hygieneartikelabteil, wo erneut Muetzchenfrauen stehen und sofort auf mich zusteuern, sobald ich mich einem Regal naehere und mir beratende Empfehlungen geben wollen. Vorbei am Schmuck, vorbei an Smartphones und Smartphonewerbemenschen mit Mikrophonen vor dem Mund, die irgendwie nicht richtig funktionieren, aber in die trotzdem hinein geplaerrt wird. Vorbei an Schreibwaren, Klamotten, Kuechenartikeln. Neben Bergen aus quietschbunten Konfekten steht ein Maedchen und bietet Stueckchen einer schwarzen Glibbermasse zum Kosten an...Hmm, danke, lieber nicht. In einem der Suessigkeitenhaufen liegt ein einsames Megaphone und kreischt in Dauerschleife wieder und wieder den gleichen Text. Irgendwie bin ich eher abgeschreckt, als animiert, hier etwas Suesses zu kaufen. Vorbei an riesigen Flaschen voller Olivenoel, Erdnussoel, Sojaoel, Rapsoel, Fischoel, Sonnenblumenoel...(Die chinesische Kueche ist tasaechlich sehr sehr oelig!). Ab und zu bleibe ich stehen und ueberlege, ob ich etwas mitnehmen soll. Aber irgendwie entschliesse ich mich, das Glas mit der roten Sauce doch zurueck ins Regal zu stellen, da ich mal wieder nicht weiss, was genau ich da eigentlich in der Hand halte. Mit angehaltenem Atem und ohne genau hinzuschauen, bahne ich mir moeglichst schnell meinen Weg durch die Fleischabteilung. Als Vegetarier in China habe ich irgendwann angefangen, nicht mehr so sehr darauf zu achten, was da eigentlich gerade zerhackt wird, welche Tiere noch zappelnd eingetuetet werden und welche Koerperteile man hier eingeschweisst und als Snack verpackt kaufen kann. Aber ja, dennoch ueberkommt mich oft der Ekel, wenn ich irgendwo einen Berg von Innereien oder einen Huehnerfusssalat entdecke (Huehnerfuesse! Die Chinesen stehen total auf Huehnerfuesse! Gibt's auch kalt und eingeschweisst als Snack, zum unterwegs ablutschen...) Letztlich stehe ich nach einer gefuehlten Ewigkeit mit ein paar Pilzen und zwei Knollen Lotuswurzel an der Kasse (man muss ja auch mal die lokalen Spezialitaeten ausprobieren), bezahle "liang kuai yiou" und verlasse ganz schoen ausgelaugt den Supermarkt.

[...]

Ich knie an einem kleinen Tisch in einem kindlich eingerichteten Wohnzimmer, der Teppich besteht aus grossen Kunststoffpuzzelteilen, im Regal an der Wand hocken Kuscheltiere und am Tisch in der Ecke des Raumes sitzen mehrere Frauen und starren auf ihre Smartphones. "What can you see?" frage ich, jedes einzelne Wort betonend, in die Runde und deute auf das Bild im Buch vor mir. Die Gruppe Acht- bis Zehnjaehriger faengt an, durcheinader zu brabbeln. "Okay, okay, stop!", rufe ich, "One by one". Eric faengt an: "I can see...a big ruler!". Und so geht es reihum, bis auch Roey, Nancy, Keily, James und Reymond geantwortet haben. (Chinesen geben sich im Umgang mit Auslaendern gern englische Namen, und die sind haeufig aeusserst speziell...Darunter zum Beispiel: "Moon", "Sunny" oder Elmis Schuelerin "Alexander"...) Der Englischunterricht mit diesen Kids ist recht unkompliziert, kommen neue Vokabeln ins Spiel, werden diese brav sofort nachgeplappert. Wenn etwas nicht verstanden wird, hilft mir meine "Chefin" Ying aus und uebersetzt. Anfangs hatte ich etwas Bammel davor, Kindern Englisch beibringen zu muessen, die bisher nur Chinesisch sprechen. Aber irgendwie ist es doch leichter, als gedacht. Auf Dauer waere diese Arbeit aber wohl nicht so meins...

[...]

Es faellt mir schwer, in dieser Stadt Fuss zu fassen. Ich merke immer wieder, dass China nicht so mein Land ist. Tatsaechlich wuerde ich sogar behaupten, dass ich im Vergleich der bisher bereisten Laender, die chinesische Mentalitaet am wenigsten verstehe. Gut, das liegt vielleicht auch an der Sprachbarriere. Aber manchmal verstehe ich gewisse Eigenheiten nicht einmal, wenn sie mir jemand auf Englisch erklaert. Unser israelischer Freund Elad pflegt ja zu sagen "China is like another planet!" und irgendwie kann ich ihm da oft zustimmen. Ich bin echt froh, dass wir Elad bei unserem ersten Besuch hier in Kunming vor sieben Monaten das erste Mal getroffen haben und seitdem auf einer Wellenlaenge schwimmen. Es tut gut, einen Freund zu haben, der ebenso die Hoehen und Tiefen des Lebens hier kennt...

[...]

Ich schaue die Frau, die ich soeben aus ihrem Nachmittagsschlaf geweckt habe, aufmerksam an, deute auf die Moehren und frage "Jiga do shao tien?, Wieviel kostet das?". "Wu kuai yi gongshin, Fuenf Yuan pro Kilo" Ich suche mir ein paar Moehren aus und die Frau streckt mir schon eine Plastiktuete entgegen. "Buyong buyong", meine ich abweisend und krame meine eigene Tuete aus meiner Tasche hervor. (Jedes Mal, wenn ich das mache, werde ich nur unverstaendlich belaechelt. Aber irgendwie muss man ja etwas gegen diesen Plastikverpackungswahn unternehmen und so recycle ich wenigstens im kleinen Stil...) Ich schlendere weiter, vorbei an Staenden mit dicken Kohlkoepfen, erdigen Kartoffeln, Tomaten, Auberginen, Gurken...und einer Menge Gemuese, das ich teilweise nie zuvor gesehen habe und das ich nicht zu benennen weiss. Da gibt es zum Beispiel diese zucchinigrosse, giftgruene Frucht, mit der blasenfoermigen Schale; Berge von grasartigem Gruenzeug, bei dem ich keine Ahnung habe, wozu es verwendet wird oder absolut schraeg aussehende Pflanzen, die mich an gruene, krueppelige Haende erinnern...wer weiss. Einkaufen auf der Marktstrasse ist fuer mich jedes mal ein Fest, da ich mich hier mit verschiedenstem Obst, Gemuese, Nuessen oder dem leckeren, aber sehr fettigen Lauchbrot eindecken kann...Und vielleicht wage ich mich ja mit der Zeit an mehr und mehr auch an die seltsamen Gemuesesorten heran...

[...]


Mit diesen Alltagsanekdoten gruesse ich euch herzlichst aus dem sommerlich sonnigen, aber schon herbstlich kuehlen Kunming!
Ich hoffe, ich kann in den naechsten Tagen noch ein paar Bilder von hier anfuegen...

Alles Liebe und bis bald, 
Eure Emma.

Blick aus meinem Fenster

Night out in Kunming's most famous foreigner's bar "Moondog"