Fakten

Wir sind 849 Tage um die Welt gereist (11. Juni 2013 bis 07. Oktober 2015). Unsere letzte Station war Bangkok, Thailand.
Wir reisten 71844 Kilometer durch 26 Länder. Jetzt sind wir wieder in Deutschland und planen unsere naechste Reise.

Mittwoch, 20. August 2014

To Build A Home

Liebe Freunde, Leser, In-Gedanken-Mitreisende und Unterstuetzer,

Musik aus der Zweiaufweltwegen-Musik-Bibliothek: Cinematic Orchestra - To Build A Home

Wie ihr vielleicht mitbekommen habt, legen wir momentan eine Reisepause ein, die sich einerseits als notwendig erwiesen hat, da wir ausgelaugt waren und uns die Besonderheit des Augenblicks immer weniger bewusst wurde. Um diesem Trend entgegenzuwirken und uns wieder an einen Ort zu gewoehnen, haben wir uns entschieden, in Kunming, im Sueden Chinas fuer einige Monate zu verweilen.
Ein positiver Nebeneffekt ist, dass wir uns hier etwas dazu verdienen koennen und - nach langer Zeit ohne zu Hause - hier eine Wohnung mit Leben fuellen koennen.


Wird jetzt erstmal ein selteneres Bild sein... Trampen in China.


Daher wird es in naechster Zeit hauptsaechlich Worte von der bequemen Couch und dem leckeren selbstgekochten Essen geben. Oder Schwaermereien ueber die frisch gemachten Nudeln vom muslimischen Restaurant um die Ecke. Man koennte auch den neo-romantischen Ausblick auf den "Green Lake" und die Stadt aus als wunderschoen beschreiben. Der Obst- und Gemuesemarkt ist zehn Minuten entfernt, vorbei an tanzenden und singenden Chinesen, die sich hier in den Abend- und Morgenstunden zuhauf versammeln.
Je eher man aufsteht, desto verrueckter scheint, was man sieht. "Leibesuebungen treiben", wie Mr. Zhou, mein Sprachleiter es nennen wuerde, ist ein riesiger Hype, besonders bei aelteren Menschen.

Aber es gibt noch viel mehr zu entdecken, zu erfahren, zu erkunden, zu erleben. Wir freuen uns auf die kommende Zeit, die aber sicher auch viel Veraenderung mit sich bringen wird.
Schliesslich ist es auch eine Phase, in der wir wieder lernen wollen, "ich" und "wir" zu unterscheiden.


Wir danken euch fuer all die Unterstuetzung, 
momentan bauen wir auch gerade den Blog wieder etwas um.
Bald soll es eine Karte mit unserer bisherigen Reiseroute geben, ein paar neue Bilder und natuerlich weitere Posts.

Wenn ihr auf "Wir" klickt und nach unten scrollt, findet ihr die neuesten Zeitungsartikel (falls ihr die nicht schon entdeckt habt)!
Im Juli erschien ein Artikel auf dem alternativen Reise-, Tauch-, Sport- und Naturportal Feel4Nature ein Artikel ueber die Reise von Gwen und Patrick aus Freiburg und im gleichen Atemzug unsere eigene auch.

Im August erschien in der Saechsischen Zeitung ein Reiseupdate und Christian von Feel4Nature hat uns zu unserer Reise mit fuenfzehn Fragen ausfuehrlich interviewt.

Damit es schneller geht, hier gehts direkt zum Teil 1 des Interviews:

Feel4Nature: 15 Fragen an Emma und Elmi
(Link fuer Teil 2 im Text)

Schon bald gibts wieder Neuigkeiten von uns mit einer Geschichte ueber ein verbotenes Land.
Also, schaut wieder vorbei!


Bis bald,
Euer Elmi und eure Emma!

Mittwoch, 6. August 2014

Der Fehlamplatz

(Es schrieb Anselm – Anmerkung fuer F.)

Aussicht auf Hongkong vom Peak

Ich lege meinen Kopf so sehr in den Nacken, dass ich fast das Gleichgewicht verliere. Gerade so kann ich die Spitze des Gebaeudes neben mir erkennen. Die Beleuchtung am Ritz-Carlton Hotel, an dem wir gerade vorbeilaufen, formt Figuren, Herzchen, Haeschen und Schriftzuege auf seine gigantische Glasfassade.

Der  Stadt-Staat (oder besser gesagt, der Stadt-Staat-„wannabe“) am Suedchinesischen Meer ist ein Paradies fuer die Reichen und Schoenen. Es gibt alles, dabei gilt jedoch: Hauptsache teuer. 

Als wir uns wenige Stunden zuvor an der Uferpromenade niederliessen, um uns den naechtlichen Lichtsmog beweisen zu lassen, sah unsere weitere Abendplanung recht simpel aus. Wir hatten gerade ein paar Bier gekauft, geoeffnet und ausgetrunken, unsere Maegen waren leer und somit war schon ein gelassenes Abendprogramm eingeleitet.
Wir wurden ueberrascht von einer Laser-Show, die unglaublich viele Menschen genau an die Stelle zog, die wir uns auserwaehlt hatten. Wir waren froh, dass wir schon etwas getrunken hatten und die ganze Sache mit Humor nehmen konnten und uns die Zeit damit vertrieben, Fotos von „Selfie“-Touristen zu machen. Ich habe es ja nicht geglaubt, aber es gibt tatsaechlich Menschen, die die meiste Zeit damit verbringen, dem eigentlichen Geschehen den Ruecken zuzukehren, da sie ein Selbstbildnis nach dem anderen schiessen. Solche Weltmeister. Ich luege nicht, wenn ich sage, bei manchen koennen es gerne um die hundert gewesen sein.

Da wir trotz ueber zwanzig Anfragen auf CouchSurfing keinen „Host“ gefunden hatten, und unser Freund Ben, bei dem wir zwei Naechte lang schliefen, am Morgen in Richtung Nordkorea abgereist war, hatten wir vor, die Nacht in einem Vierundzwanzigstundenrestaurant zu verbringen, und die Nacht mit Zeit im Internet zu ueberbruecken, Blog zu schreiben und Chinesisch zu lernen. Oder einfach am Ufer sitzen zu bleiben, ueber den touristischen Foto-Terrorismus den Kopf zu schuetteln und Leute zu beobachten. Viel zu besprechen haben wir eh immer.

Aber es kam anders. Ein junger Hongkong-Brite, namens Edward lud uns per SMS ein, die Nacht bei ihm zu verbringen. Er hatte den „CS Request“ erst spaet gelesen und war selbst noch bis elf Uhr abends an der Theke arbeiten. Wir wollten ihn spaeter vor seiner Bar treffen.

Ich stehe also da, schweissgebadet, den Kopf im Nacken und schaue dieses Gebaeude-Monstrum an. Ich frage mich, wie viele Menschen wohl gerade in diesem Haus sind, oder wie viele dort hinein passen, oder wie sie im 118. Stockwerk die Scheiben putzen. (Gut, eigentlich frage ich mich das erst jetzt…) – Auf jeden Fall wuerde mich interessieren, warum man so grosse Gebaeude bauen muss. Keine Ahnung.
Ich denke immer oefter an Massentierhaltung. Und ziehe Vergleiche. Wir lernen, dass in Hong Kong acht Millionen Menschen leben. Das klingt, gemessen daran, dass Kunming genauso viele Einwohner hat, nicht so viel, wo dort doch gelassenes und unaufgeregtes Flair vorherrscht. Aber in Hong Kong gibt es so unglaublich viele Hochhaeuser, dass hier mindestens zwanzig Millionen Menschen Platz haben muessten?!  Wie auch immer, Hong Kong ist fuer mich definitiv ein Ort, der unter anderem fuer Massenmenschenhaltung steht. Und noch ganz viele andere schreckliche Dinge.

Auf jeden Fall fuehlen wir uns beklemmt, als wir uns mit unseren Rucksaecken, stinkend vor die klimatisierten Edel-Bars oberhalb der Kowloon Station setzen, um auf Ed zu warten.

Aus Spass wage ich den Versuch, in das hoechste Gebaeude Hong Kongs, das „Ritz-Carlton“ reinzukommen und folge drei riesigen, vollbusigen Osteuropaerinnen, die vor ihrem mittfuenfziger Gigolo hineinspazieren. Ich, mit meinen Sandalen und meinem verschwitzten T-Shirt und meinen genaehten, gruenen Leinenhosen, werde von den Hotelangestellten freundlich begruesst und zum Fahrstuhl begleitet. Als wir alle in der gleichen Kabine stehen, hoffe ich, dass ich der einzige bin, der mich riecht. Bis wir im 103. Stockwerk sind, vergehen nur wenige Sekunden. Aber ich habe noch hoehere Ambitionen, jetzt wo ich schon mal hier bin… - Also folge ich zwei anderen, diesmal flachbusigen Grazien, die russisch sprechen und ihrem bauchigen, asiatischen Begleiter in den naechsten Fahrstuhl, zum hoechsten, dem 118. Stockwerk, in die sogenannte „O-Zone“. Dort ist dann aber Schluss fuer mich, denn nach 21 Uhr gibt es einen Dresscode fuer Herren. So ein Sexismus …

Im 102. kann ich den Kellner ueberzeugen, mal kurz auf einem Sofa am Fenster Platz nehmen zu duerfen, ohne einen Drink bestellen zu muessen. In mir herrscht ein Gefuehlsmix von Aufregung, Abscheu und Unfassbarkeit. Eigentlich hatte ich bezweifelt, je einen solchen Ausblick erhaschen zu koennen. Unter mir ist ein Lichtmeer, bunte Werbung und alles sieht unglaublich klein aus, obwohl mir von unten alles riesig vorkam.


Es kommt aber noch besser. Ed nimmt uns mit zu sich nach Hause in eine Villa an der Repulse Bay. Eine der teuersten Gegenden Hong Kongs. Spaetestens jetzt weiss ich nicht mehr, ob mir schlecht werden, oder ich froh darueber sein soll, hier sein zu koennen.

Es ist seltsam. Wieder mal wendete sich das Blatt. Statt gar nicht zu schlafen, naechtigen wir in einer Edelbude eines englisch-hongkonger Ehepaars unweit des Strandes, mit flauschigen Kissen, und werden zum Fruehstueck von ihrer philippinischen Hausangestellten mit Fruehstueckseiern bedient. Es ist paradox: Wir koennen uns in der Innenstadt nicht mal guten Gewissens einen Kaffee kaufen, um das Internet zu benutzen, weil es so teuer ist. Und dann finden wir uns am naechsten Morgen sonnenbadend am Strand in der Repulse Bay wieder. Unnormal.


Mit diesem Gefuehl wandern wir an den Porsches, Masaratis und Ferraris vorbei, beobachten Rolls Royces und Jaguars, wie sie durch die City schleichen, fuehlen uns wie in einer Blase, rundherum schreit alles nach Reichtum, nach Konsum, nach Gucci, Prada, Luis Vuitton und Rolex. Hellblau ist die angesagteste Farbe bei den Hemden der Businessmen. Alles hastet durch die Strassen „Centrals“, dem Dollar-Herz Hongkongs, die Smartphones in der Hand. Geschaeftige Englisch-Slang-Fetzen dringen von ueberall in unsere Ohren. Mehr denn je fuehle ich mich fehl am Platz.

Automatisch fuehle ich mich einer unteren Klasse zugehoerig, bin eingeengt vom Reichtum anderer, von riesiger Werbung von Luxus-Marken-Geschaeften und bin ploetzlich selbst als Tourist „underdressed“. Wer nach Hong Kong kommt, braucht Pinkepinke. Wahrscheinlich gibt es daher wenige Reisende wie uns in dieser Stadt. Mein Kopf kommt nur noch mehr ins Rattern …

Sind diese Menschen hier gluecklicher als ich? Macht Geld sie wirklich froehlich? Muss es ein superduperklasse Menu zum Abendessen sein? Schmeckt es im Sterne-Restaurant wirklich besser als im traditionellen Lokal? Oder haben die Leute einfach so viel Geld, dass sie es ausgeben muessen, um nicht darin zu ersticken? Ist wirklich alles Statussymbol, Prestige und Aushaengeschild, oder koennen reiche Menschen einfach nicht mehr unterscheiden, was teuer und was guenstig ist? Vielleicht denkt man ueberhaupt nicht mehr ueber das Geld nach, wenn man sich alles leisten kann. Schon das allein ist eine schreckliche Vorstellung. Nicht, dass ich gerne ueber Geld nachdenke, aber ich frage mich immerhin nach dem tatsaechlichen Wert, wenn ich etwas kaufe und – ob es noetig ist.  Aber muss es soweit kommen, dass man fuer ein Hotelzimmer achttausend Hongkong-Dollar bezahlt, umgerechnet ungefaehr siebenhundertdreissig Euro? Koennte man da nicht ein bisschen sinnvoller sein Geld verschwenden?  Oder, um das auch mal zu sagen (Und ab hier moechte ich die direkte Anrede waehlen!):
Koennt ihr nicht einfach mir die Kohle geben, wenn ihr so viel Schmott habt?

Der naechste Gedanke ist natuerlich: Woher habt ihr die Kohle und seid ihr diejenigen, die ich geringschaetze, weil ihr den Globalen Sueden ausbeutet? Seid ihr diejenigen, die denken, dass Reichtum und Scheffelei wichtiger ist, als die Natur zu schuetzen und den Planeten zu bewahren?


Viel Wut, viel Verzweiflung, Abscheu, aber auch ein gezwungenes Neid-Gefuehl steigen in mir auf. Gemischt ist alles mit der Selbstverachtung, wenn ich daran denke, heute Abend wieder in die Villa an der Repulse Bay zurueckzukehren.


Das, was mir Sorgen macht ist der Neid. Denn ist es nicht genau das, was dieses System erreichen moechte, dieses „Schau mal, all das kann ich mir leisten“? Aber es ist so erfolgreich, dass ich mir mit meiner kleinen Budget-Weltreise vorkomme wie der letzte Idiot, weil ich nicht mit MacBook Air im Starbucks sitze, mit Edel-Anzug und Designer-Brille, weil ich kein Smartphone an meine Hand getackert habe, weil mein Geldbeutel so leer ist, wie mancherlei Augen.

Ich denke, es gibt da zwei Wege der Herangehensweise: Entweder man meidet solche Orte und Menschen oder man wird Teil von ihnen, um den Schmerz zu verdraengen. Aber so bald man sich mit all dem kritisch auseinandersetzt, kann man nur verlieren. Es tut mir Leid um alle unerschuetterlichen Protestler, aber gegen dieses System ist man spaetestens, wenn man mittendrin steht, machtlos, es sei denn, man hat einen grandiosen Einfall. Aber diese Stadt hat, zumindest mir, all meine Kreativitaet ausgesogen. In etwa so, wie der Hongkonger Geschaeftsmann seinen Pappbechereiskaffee mit seinem bunten Plastikstrohhalm aussaugt.
Die Frage, die mich beschaeftigt ist, warum kann ich es diesen Menschen nicht vollen Herzens goennen? Natuerlich, ich bin in einer voellig anderen Situation, mein Ziel ist es, so wenig wie moeglich auszugeben um moeglichst lange reisen zu koennen. Ich arbeite vielleicht weniger, oder wenigstens seltener, aber weiss auch, was ich mir dafuer leisten kann – und was nicht. Aber, natuerlich haette ich zum Beispiel auch gerne eine bessere Kamera. Die kann ich mir aber nicht leisten. Kommt daher mein Neid? Oder sind es die Dinge, die ich eigentlich nicht brauche, von denen ich aber so vielzaehlig umgeben bin, dass ich glaube, dass ich sie braeuchte? In Momenten, in denen es mir so geht, bin ich neidisch auf diejenigen, denen der Eintritt auf den Peak-Tower nicht zu teuer ist, die sich ein Pain-Au-Chocolate kaufen, ein Bier in der O-Zone goennen oder ein Taxi nehmen, statt eine Stunde auf den Bus zu warten.


Eigentlich bin ich ganz gluecklich mit meinem Leben, aber irgendwie bin ich ernuechtert davon, was wahre Lebensqualitaet hier bedeutet, wie sehr es, meiner Meinung nach der Schein ist, der den Menschen hier Freu(n)de und Ansehen verschafft. Ich frage mich, wie viele Menschen noch in sich hinenschauen koennen und ehrlich zu sich sind. Ich frage mich, wie viele sich in dieser – fuer mich schrecklichen Stadt – einen Traum erfuellen.


Ich jedenfalls bin froh, dass ich morgen wieder meine sieben Sachen packen kann und, obwohl in China, wieder ein normales Leben fuehren kann. Ich freue mich darauf, wieder mal ein eigenes Bett zu haben, einen Haustuerschluessel und Freunde. Das ist mir hier noch viel bewusster geworden. Mit „Tourist sein“ ist jetzt erstmal Schluss. Wenigstens fuer ein paar Monate. Und diese Pause wird gut sein. Ich hoffe, dass ich viel verarbeiten kann in dieser Zeit, es gibt viel was ich nachholen moechte und einiges, was ich beginnen will. Auch hoffe ich auf mehr Aktivitaet meinerseits. – Alles wartet in Kunming auf mich.


Heute sind wir noch eingesperrt in diesem Zirkus, gefangen wie Paradeelefanten. Wie es der Zufall will, sitzen wir ausgerechnet in einem christlichen Cafe, aus den Lautsprechern toenen seit Stunden nervige Hillsong-Tunes, am rechten Nebentisch entwerfen Architekten neue Verbrechen an ihren grossen Bildschirmen, am linken Nebentisch fuehren Businessfrauen Businessgespraeche.

Ich habe mich, aufgrund meiner Minderwertigkeitskomplexe, heute gleich ganz „sachi“ (frage bitte deinen hebraeisch-sprechenden Freund, was das bedeutet!) angezogen. Naja, so gut es geht, jedenfalls.

In diesem Sinne – Salam Aleikum, Shalom und Gott zum Gruss! Namaste. Szerdecznie witamy im Irrenhaus! Ni hao to the plastic world!

Euer Barti Crouch.

(Bilder folgen)